Interview mit Franz Josef Radermacher, Professor für Datenbanken und künstliche Intelligenz
21.02.2023
Autor: Pollmeier Redaktion
Fotos: Pollmeier Redaktion

Ohne Holznutzung keine Nachhaltigkeit

Bäume schlagen um das Klima zu senken – das klingt zunächst sehr widersprüchlich. Dabei ist genau das Gegenteil der Fall: Eine nachhaltige Holznutzung könnte sogar ein wichtiger Beitrag zur Überwindung des Klimadilemmas sein. Warum das so ist, erklärt Prof. Radermacher – er leitet das Institut für Datenbanken und künstliche Intelligenz der Universität Ulm, engagiert sich in der Global Marshall Plan Initiative (ein internationales Netzwerk für eine gerechte Globalisierung) und ist Mitglied des Club of Rome (Zusammenschluss von Experten für nachhaltige Entwicklung).

Pollmeier-Magazin: Herr Professor Radermacher, nach dem letzten Klimagipfel in Paris hat man sich auf eine Begrenzung der Erderwärmung auf (bestenfalls) unter 2 Grad geeinigt. In den Medien wurde das als „Erfolg“ bezeichnet. Ist es das?
Franz Josef Radermacher: Paris ist ein großer Erfolg, weil es nicht selbstverständlich ist, dass sich fast 200 Staaten mit sehr unterschiedlichen Interessen und sehr unterschiedlichen Ausgangssituationen in einem so sensiblen Bereich wie dem Klima auf gemeinsame Positionen einigen. Wir haben jetzt mit diesem Weltklimavertrag, wenn dieser auf das Jahr 2020 ausgerichtete Vertrag in Kraft tritt, eine deutlich verbesserte Ausgangssituation gegenüber dem heutigen Zustand. Das heißt allerdings nicht, dass die materiellen Zusagen in diesem Vertrag bereits die Voraussetzungen für eine Begrenzung der Erderwärmung auf 2°C oder weniger schaffen würden, das ist ein anderes Thema.

P-M: In Ihrem Vortrag „Globalisierung – Nachhaltigkeit – Zukunft: Zur Rolle der Ressourcen und der Holzwirtschaft“ sagen Sie: „Es geht im Kontext der Nachhaltigkeitsdebatte nicht um das Überleben der Menschheit, es geht aber um die Lebenssituation von Milliarden Menschen“. Was genau meinen Sie?
F.-J. Radermacher: Wir sind heute 7,5 Milliarden Menschen und waren vor 10.000 Jahren nur 20 Millionen. Selbst bei wesentlich veränderter Klimasituation würden wohl immer noch Milliarden Menschen auf diesem Globus überleben können. Aber es wären wahrscheinlich deutlich weniger als heute. Die Situation wäre auch für die Überlebenden deutlich weniger komfortabel, als wir es heute gewohnt sind. Insbesondere wäre der Übergang in eine solche „neue“ Welt mit extremen Belastungen, mit unnötigem Leid und mit unnötigem, frühzeitigem Sterben von vielleicht Milliarden Menschen verbunden. Das gilt es möglichst zu verhindern, auch wenn es dabei nicht um das Überleben der Menschheit als Ganzes geht.

P-M: Inwieweit bietet intensive Holznutzung einen Ausweg aus diesem Szenario?
F.-J. Radermacher: Man muss sich das so vorstellen: Vor Paris befanden wir uns bezüglich des Klimas in einer Situation, die einem Fass ohne Boden entspricht, das man füllen will. Das stellt ein hoffnungsloses Unterfangen dar. Wird der Pariser Vertrag umgesetzt, bekommt das Fass einen Boden, nämlich eine globale, wenn auch zunächst noch wachsende Begrenzung der weltweiten CO2 Emission. Das Fass ist halb voll oder anders ausgedrückt: der Umfang an Emissionen ist noch zu hoch. Es gilt das Fass zu füllen oder anders ausgedrückt: weitere Emissionen abzubauen bzw. der Atmosphäre zu entziehen. Das durchaus auch in einer zeitlichen Perspektive, d.h. es geht insbesondere auch darum, Zeit zu gewinnen, um zu neuen technischen Lösungen im Energiebereich (Anm.d.R.: Ausbau der regenerativen Energiequellen; Verbesserung der Energiespeicher, Tiefengeothermie etc.) zu kommen. Hier eröffnet sich nun ein großes Fenster für sog. Negativ-Emissionen in Form biologischer Sequestrierung. Man entzieht der Atmosphäre durch biologische Aktivitäten CO2. Das prominenteste Beispiel sind massive weltweite Aufforstungen, potenziell auf 500 Millionen bis 1 Milliarde Hektar degradierter Böden in den Tropen. Ein zweiter Ansatz forciert Humusbildung in der Land-wirtschaft. Den dritten Ansatz bildet der Schutz bzw. die Renaturierung von Feuchtbiotopen. Das Thema Holz hat dabei einen hohen Stellenwert.

Franz Josef Radermacher, Professor for Databases and Artificial Intelligence

P-M: Holznutzung ist nicht gleich Holznutzung. Welche Bedingungen müssen erfüllt sein?
F.-J. Radermacher:
Generell geht es um Zeitgewinn. Den Zeitgewinn müssen wir politisch nutzen, und zwar insbesondere dazu, um im Bereich der Innovationen zu einem neuen Energiesystem zu kommen, das möglichst überall auf der Welt einsetzbar ist – preiswert, umweltfreundlich und klimaneutral. Zeitgewinn durch das Erzeugen von Negativ-Emissionen ist ein entscheidender Ansatz. Hier kommt das Holz ins Spiel. Offensichtlich ist dabei die Nut-zung von Holz als Rohstoff ein wirkungsvollerer Ansatz als die Nutzung von Holz zur Erzeugung von Energie, weil in dem Prozess der Energieerzeugung aus Holz das eingefangene CO2 wieder freigesetzt wird. Von der Generalausrichtung her würde man deshalb Holz materiell zu nutzen suchen und würde für die Energieversorgung nur alle diejenigen Teile der Bäume einsetzen, die in dem Sinne als Abfall zu werten sind, als eine andere materielle, längerfristige Nutzung nicht möglich ist.

P-M: Fassen wir zusammen: Was muss in Bezug auf Holznutzung passieren, um in eine positive Zukunft gehen zu können?
F.-J. Radermacher: Wir brauchen weltweite Anstrengungen für Aufforstung. Aufforstung ist generell sinnvoll, insbesondere auf degradierten Böden. Hilfreich ist es, das irgendwann geerntete Holz in materielle Nutzungen zu überführen und besonders hilfreich ist es, wenn das materille Nutzungen sind, die sich über 50, 100 und noch mehr Jahre erstrecken. D. h. es sollte möglichst lange dauern, bis das Holz entweder energetisch genutzt wird oder auf diese Weise verrottet das gebundene CO2 wieder freigesetzt wird. Zeitgewinn ist im Moment ein entscheidendes Thema.

P-M: Holzbau bindet das der Atmosphäre entzogene CO2 im Schnitt je nach Anwendung für 30 Jahre. Aber was ist dann? Schieben wir das Problem einfach nur auf? Oder ist Holz als Speicher eine langfristige Lösung?
F.-J. Radermacher: Ich weiß nicht, wie Sie auf die 30 Jahre kommen. Wenn wir massiv Aufforsten, und zwar auf degradierten Böden in den Tropen, dann wird der Atmosphäre zu-nächst einmal CO2 entzogen in der Zeit bis zum „Ernten“ der Bäume. Das sind 40-50 Jahre. Anschließend sollte der größte Teil des Holzes in eine materielle Nutzung überführt werden. Solche materielle Nutzungen reichen zum Teil sehr viel weiter als nur 30 Jahre und können auch 100 oder 200 Jahre betragen. Selbst bei (nur) 30 Jahren materieller Nutzung würde dies in Kombination mit 40 Jahren Wachstum der Bäume einen Zeitraum von 70 Jahren abdecken. Das eröffnet Chancen. Noch einmal: es geht um Zeitgewinn. Der Atmosphäre wird CO2 nur entzogen in der Zeit, in der die Bäume aufwachsen. Der Effekt ist auch nur einmal erreichbar. Wenn man die Bäume aberntet, muss sofort wieder neu gepflanzt werden, damit das Abernten klimaneutral erfolgt.

P-M: Was empfehlen Sie Institutionen, wie Firmen, Mittelständlern und Otto Normalverbrauchern, um zu diesem Ziel beizutragen?
F.-J. Radermacher: Ich empfehle diesen Akteuren, dass sie sich, freiwillig und über allen gesetzlichen Anforderungen hinaus, für Klimaneutralität entscheiden. Klimaneutralität all dieser Akteure und insbesondere auch von Privatpersonen ist ein ganz wichtiger Baustein, um das 2°C Ziel noch zu erreichen. Für die Personen, die sich als Otto Normalverbraucher bezeichnen, gibt es dafür einen besonders einfachen Weg. Er bedarf dazu nur einiger Klicks im Internet und ist kostenmäßig überschaubar. Mehr Informationen dazu finden sich unter dem Portal www.beazero.org/. Ein weiterer interessanter Ansprechpartner ist die Klimainitiative des Senats der Wirtschaft e.V. (www.weltwaldklima.de). Für einzelne Branchen verweise ich auf das Klimabündnis in Vorarlberg (www.vorarlberg.klimabuendnis.at/) und auf den soeben geschlossenen Klimapakt der deutschen Gütegemeinschaft Möbel e.V. (www.dgm-moebel.de).
P-M: Vielen herzlichen Dank für das Gespräch!

Für Pollmeier steht Nachhaltigkeit im Zentrum: Wir beziehen unser Holz zu 100% aus nachhaltiger Waldwirtschaft. Außerdem unterstützen wir Projekte wie „Wald wird mobil“, die zur Aufklärung und Schulung von Waldbesitzern in Sachen Nachhaltigkeit beitragen.

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